zeichen der zeit
Wie soll man sich noch über Lesefaulheit und daraus resultierende schlechte Rechtschreibung aufregen, wenn man sich einmal umsieht, und feststellen muss, dass 80% aller Texte, die uns im Alltag begegnen, auf die eine oder andere Art für irgendetwas werben. Dieses Marketinggeschwafel ist nicht nur immer gleich, sondern auch noch zu 90% inhaltslos. Nur 10% des Volumens bieten Informationen, der Rest ist Loben und Anpreisen. Niemand mag das lesen. Wir werden darauf konditioniert, Texte auf diese 10% Schlüsselwörter zu scannen, sie nur zu überfliegen und schnell abzuhaken. Oder gleich zu ignorieren. Wer will da noch Romane lesen, deren Sätze die 14-Wörter-Marke sprengen, deren Handlungsbögen gar über mehrere Seiten (!) hinweg gespannt sind. Solche Anforderungen werden höchstens noch im Katalog geduldet, wenn die Produktkategorie nicht auf eine Seite passt.
ledaeth - 8. Nov, 10:42
und plötzlich die erkenntnis, dass die häufig attestierte oberflächlichkeit der westmenschen ihrer sozialisation in der konsumorientierten marktwirtschaft entspringt. wer gezwungen ist, einen großteil seiner zeit auf das vergleichen vielfältiger, prinzipiell gleichwertiger angebote aufzuwenden, um das für sich perfekte herauszufiltern; wer diesen prozess als normal und alltäglich kennt und das ergebnis der langen suche als geglückten einsatz seiner intellektuellen fähigkeiten erlebt und über diese suche - da sie schon von der aufgewendeten zeit her einen prozentual recht hohen anteil an seinem leben ausmacht - auch gerne spricht und das ergebnis präsentiert (nicht einmal, um mit dem besitz anzugeben, sondern um zu zeigen, mit welchem aufwand und hohem geschick und daraus resultierender zufriedenheit er es bewerkstelligte)... eine solche person muss zwangsläufig oberflächlich wirken auf jemanden, der mit nur einer sorte auto/schokolade/kindertragehilfe aufwuchs und seinen geist auf andere dinge richtete.
keine großartige erkenntnis, vielleicht. und in jedem fall eine späte; zumindest für jemanden, der seit fast 20 jahren im westen lebt.
sie kam erst jetzt, weil ich erst jetzt gezwungen bin, mich diesem bisher als zu anstrengend und überflüssig abgelehnten informations- und auswahlprozess selbst auszuliefern.
p.s.: ist es nicht traurig, dass in all der auswahl so selten genau das zu finden ist, was man eigentlich wirklich haben möchte? dass man sich doch immer wieder mit dem nächstbesten zufrieden gibt? wozu dann sich durch hundert möglichkeiten wühlen?
p.p.s.: ist der allgemeine (männliche) überdruss am shoppen so zu interpretieren, dass ungefähr die hälfte der bevölkerung mit diesem system unzufrieden ist?
p.p.p.s.: liegen wir demnach völlig falsch mit der vermutung, in einer patriarchalischen gesellschaft zu leben? bzw.: hat die männlich dominierte gesellschaft ein system für frauen geschaffen, ohne es zu wollen und zu bemerken?
(ich entschuldige mich aufrichtig für diesen kurzen ausflug in die inzwischen comedian-dominierte - und daher völlig unbegehbare - welt der gender studies.)
ledaeth - 11. Feb, 10:31
ich empfinde es als persönliche beleidigung, dass die wunderbaren holzstraßen und -städte dieses so überaus erfolgreichen brettspiels inzwischen detailreichen, phantasielosen plastikvarianten weichen mussten. vorbei die tage, in denen man ungenutzte teile noch stapeln oder in immer neuen mustern zusammenlegen konnte. statt dessen muss man sich nun mit der unspannenden, billigen haptik leichter plastikteilchen begnügen, die nur den augen genügen, nicht dem, was hinter den augen passiert. wie eine straße ungefähr aussieht, sollte im spielfähigen alter jedem bekannt sein. und wie verschieden straßen aussehen können, die zwischen feldern oder an bergen gelegenen waldstücken verlaufen, das findet hier keinerlei ausdruck. desgleichen die räuber, die - so hübsch sie jetzt auch anzuschauen sind - jeglichen spiel-raum eingebüßt haben.
vielleicht ist diese entwicklung den unzähligen erweiterungen geschuldet, über deren verschiedene zubehörteile man leicht den überblick verliert und die gut voneinander abgegrenzt sein wollen. aber von einem spiel, das so viel geld generiert, kann man durchaus kreativere und schönere lösungen erwarten, finde ich.
ledaeth - 1. Mär, 10:07
- zeitalter der menschen -
- zeitalter der machinen -
- zeitalter der informationen -
? zeitalter der emotionen ?
ledaeth - 7. Mai, 19:53
wenn noch jemand zweifel daran hat, dass wir in einer spaßgesellschaft leben, dann schaue er/sie/es sich die sportunfallstatistik an: eine zivilisation, deren mitglieder es sich leisten können, ihren körper aus reinem vergnügen zu verstümmeln...
ledaeth - 5. Mai, 11:46
es gibt momente, da stößt man mit dem schienbein hart gegen ein querliegendes stück realität.
augenblicke, in denen man stumm und ratlos vor einem phänomen steht, das sich der emotionalen erfassung und einordnung in das eigene leben und erleben hartnäckig widersetzt.
eine dieser schrecksekunden durchfuhr mich letztens, nachdem ich, hungrig auf dem nachhauseweg einen zwischenstopp einlegend, von einer freundlichen verkäuferin ein noch warmes, lecker riechendes dunkles brot mit krosser kruste - oh, wonne! - entgegengenommen hatte, am fahrrad - heftig speichelnd - die papiertüte noch einmal öffnete, um meiner nase diesen flüchtigen duft in fülle zuteil werden zu lassen und beim einpacken in den rucksack auf eben jener tüte folgendes schriftzuges gewahr wurde: "besuchen sie uns im internet!"
ledaeth - 27. Jan, 20:40