Montag, 4. Juni 2012

Zeit

Das Wetter ist beschissen und wir sitzen im Auto, damit der Kleine wenigstens aus der Wohnung rauskommt. Er fährt, das heißt er sagt "duuw-duuuw" und drückt auf allen erreichbaren Knöpfen herum.
Wenn er es nicht gerade ausschaltet, läuft Sambas "t.b.a."-Album im Radio. "Du bist so schön und / wir fahren beide weiter durch die Nacht ..." Eine Band, die ich einmal sehr mochte.
Bekannt gemacht hat uns Julia, Helges Freundin. Mit ihr verbinden mich heute noch diese Band und meine Silhouette in blau auf dem Heidelberger Bücherbus. Nicht das schlechtestes Erbe.
Mit Helge verband mich - lange vor, aber auch während Julias Zeit - die Liebe zum Computerspiel. Wir saßen zu zweit an Doom und Duke Nukem, einer laufend, einer schießend; wir levelten gemeinsam in Curse of the Azure Bonds (Himmel, fand ich das Cover-Girl betörend! Mit heutigen Augen betrachtet, ist sie eine etwas gruselige Mischung aus Tim Curry und Nena ... Aber das erinnerte Gefühl ist stärker.); wir erkundeten gemeinsam die dunklen Gänge von Ultima Underworld (Das ich gerade wieder spiele. Danke, GOG!).
Mein eigener Rechner, bzw. der meines Stiefvaters, war viel zu alt und langsam, um irgendetwas Zeitgemäßes darstellen zu können. Mit Nethack verbrachte ich zwar viele, viele wundervolle Stunden, aber der Versuch, ein Rennspiel namens "Stunts" zu starten, endete nach 20 Sekunden eingefrorenem Bild in der Mauer hinter der ersten Kurve.
Wenn ich mich richtig erinnere, war das derselbe Rechner, den wir in der Wendezeit aus Westberlin rüberschmuggelten, um Reden zu verfassen und Flugblätter zu drucken.
Naja, was heißt "wir". Ich bekam nicht allzuviel mit und verstanden habe ich noch viel weniger. Aber immerhin: Kriminell für eine gute Sache.
Ist das einer der Gründe, warum ich so gerne gutherzige Schurken spiele?

Jedenfalls war es Thomas' Rechner. Ich besuchte ihn damals noch ein letztes Mal, um meine Daten von der Festplatte zu holen. Und die der Schwester. Songtexte, Kurzgeschichten, Gedichte.
Danach sah ich ihn nie wieder. Plötzlich sind 15 Jahre vorbei und er ist tot. Herzinfarkt mit 61. Das war zu erwarten.

Was mache ich jetzt mit all diesen Linien in meinem Kopf, den Verbindungen, die in diese Zeit zurückweisen?
Die Pfade sind schmal, trocken und staubig. Verödet, ungenutzt.

Manchmal offenbaren sie sich.

Das tut gut.

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