Sonntag, 30. November 2008

clash of cultures

Halb zwölf.
Ein Verbindungshaus.
Es steigen ein: ein fuchsgesichtiger, feister Betrunkener in feinen Klamotten, der mich alkoholkurzsichtig anzuvisieren versucht (vorne), ein blasse weibliche Stimme, die sich später als seine Freundin herausstellt (hinten links), ein undefinierter männlicher Umriss, der sich im späteren Gespräch merklich still verhält (hinten rechts).
Nachdem das Ziel der Reise mir mitgeteilt und die Implikationen von Partymotto und zu erwartenden Gästen untereinander geklärt sind, hat der schwammige Schnösel offensichtlich noch Gesprächsbedarf.
"Was seid ihr denn für eine Firma? Ich hab noch nie was von euch gehört. Privattaxi, hä?"
"Nein, alles ganz legal. Mietwagenfirma."
"Ich hab von einem Freund die Nummer bekommen, nur eine Handynummer, sonst nichts!"
"Was brauchst du denn noch, außer einer Telefonnummer, um ein Taxi zu rufen?"
"Na, ich wusste überhaupt nicht, dass es euch gibt. Keine Werbung, keine Visitenkarten..."
Man bekommt den Eindruck, dass ein Betrieb, den er nicht kennt, automatisch eine dubiose Sache sein muss. Und wer keine Werbung macht, hat erst recht keine Existenzberechtigung. Ich drücke ihm eine Visitenkarte in die Hand, in der Hoffnung, ihm damit etwas Halt zu geben.
"Bitte sehr. Da steht allerdings auch nicht mehr drauf, als die Telefonnummer."
"Na dann brauch ich keine", bemerkt er gedankenstark und macht eine ungelenke Handbewegung, die wohl entweder dazu gedacht war, die Karte aufs Armaturenbrett zu legen, oder dazu, sie mir zuzuwerfen. Die Karte jedenfalls flattert in meinen Fußraum und bleibt unbeachtet und unkommentiert dort liegen. Er mustert mich kurz unter halbgeschlossenen Lidern.
"Was studierst du?"
Zwei Möglichkeiten: entweder ihm erklären, dass ich keine Lust habe, ihm mein Leben zu erörtern – und mir damit Unverständnis und Erklärungsbedarf einhandeln, was notwendig zu weiteren, noch komplizierteren Gesprächen führen muss –, oder für die Dauer der noch verbleibenden fünf Minuten mitspielen. Wider besseres Wissen entscheide ich mich für das vermeintlich Einfachere.
"...Germanistik."
"Also wirst du Lehrer."
"Um Gottes Willen, nein. Magister."
"Und was kann man damit anfangen?"
"Keine Ahnung. Gibt kein festes Berufsbild."
"Aber du studierst das doch."
"Ja, weil es mich interessiert. Alles andere seh' ich dann später."
"Versteh mich nicht falsch, ich find das auch total spannend. Aber was für Perspektiven gibt es denn?"
"Ich studiere Germanistik, weil es mir Spaß macht", wiederhole ich. "Was ich dann damit anfange, weiß ich noch nicht."
Er stiert mich sprachlos an. Der Sarkasmus meiner nächsten Worte perlt ohne jede Wirkung von ihm ab: "Verstehst du nicht, ne?"
"Nee." Pause. "Aber man kann doch nicht davon leben."
Langsam wird’s mir zu blöd. Ich ziehe mich auf die in diesen Fällen übliche Strategie der Einsilbigkeit zurück. "Doch."
"Mit Taxifahren."
"Zum Beispiel."
"Dein Leben lang."
Soll ich ihm erklären, dass ich bei Schlafentzug aggressiv werde und die letzte Nacht durchgearbeitet habe und er deshalb besser aufhört, mich zu nerven... oder soll ich ihm einfach direkt den Ellenbogen ins teigige Gesicht rammen?
"Hatte ich nicht vor."
"Aber was kannst du denn damit machen?"
"Hey", ich schaue ihm das erste Mal direkt und intensiv in die Augen und versuche ihm auf diese Weise klar zu machen, dass ihm hier ein Mensch gegenübersitzt, und dass dieser Mensch genervt ist, "alles was du willst! Alles, was mit Sprache zu tun hat!"
"Ah. Es gibt da auf youtube, kennst du bestimmt, so eine leicht bekleidete Dame namens Orlova [?], die macht auch immer sprachlich sehr dezidiert..."
Ich bin kurz davor, ihn raus zu werfen. Leider sind wir fast am Ziel. Als Strafe für Dummheit, Unsensibilität und Engstirnigkeit käme diese Maßnahme also viel zu spät. So falle ich ihm einfach nur ins Wort. "Ja, genau das werde ich machen. Weil es ja überhaupt keine anderen Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen." In einem letzten verzweifelten Versuch, das Gespräch rumzureißen, ergreife ich viel zu spät die Initiative: "Was machst du denn?"
"Ich bin Anwalt", verkündet er stolz.
"Das hab' ich mir gedacht."
"Warum?"
Ich muss kurz nachdenken, eine halbe Sekunde lang fallen mir nur Beleidigungen ein.
"Zielgerichtete Fragen, zielgerichtetes Leben", bringe ich schließlich heraus. Der negative Unterton ist völlig verschwendet. Vermutlich fasst er diese Bemerkung als Lob auf.
"Aber das sind doch durchaus ungeklärte Fragen", assistiert ihm plötzlich ein langweiliges, dünnes Stimmchen von hinten, in einem Tonfall, der sagt: ‚Du redest komisch zu meinem Schatzi, du böser, böser Taxifahrer!’
"Ja, und die halte ich mir auch gerne offen," beende ich das Gespräch, denn wir sind endlich da.
Er braucht noch eine ganze Weile, um das Kleingeld aus seiner Börse zu sammeln, die ihm dabei herunterfällt. Die Stimme, wie der zweite Mann längst ausgestiegen, eilt geflissentlich herbei und kümmert sich um ihren Liebsten. Seine letzten Worte, während er auf die Haustür zuwankt, sind „Party on!!“

Ich mag die Hoffnung nicht aufgeben, dass das einer seiner schlechteren Momente war.
Aber es gestaltet sich schwierig.

Armes Deutschland. Wenn das deine Rechtshüter sind...

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