taxigeschichten

Mittwoch, 29. April 2009

ein wiedersehen

"Hey, hallo! Du bist doch unser Lieblingstaxifahrer! Als wir da zu dieser Party gefahren sind. Erinnerst du dich?" fragt er seine Begleiterin.
"Ich bin mir nicht ganz sicher. War ich da dabei?"
"Ja, du warst dabei", kann ich bestätigen.
"Oho, wir haben anscheinend Eindruck hinterlassen", freut er sich und ich halte meine Klappe.
"Und, wie sieht’s aus, Studium beendet?"
"Ja."
"Und was machst du dann jetzt?"
"Ich hab ’nen Job in Karlsruhe ab Mai."
"Echt, als was denn?"
Ich schweige einen langen Moment und überlege, was ich preisgeben will und was nicht. Es herrscht eine Weile Schweigen im Wagen. Die Straße rumpelt unter uns dahin, während ich mit mir ringe.
"Das verrate ich nicht."
"Und warum ist das so top secret?"
Es gibt nichts mehr zu verlieren und ich wage Ehrlichkeit. "Ist kein großes Geheimnis. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich dir davon erzählen möchte." Er scheint unsicher, wie das gemeint ist und ich helfe ihm: "Ich glaube, ich will dich lieber im Ungewissen baumeln lassen."
Er ist verständlicherweise vor den Kopf gestoßen und braucht einen Moment, den Rückschlag zu verarbeiten.
"Jedenfalls ist das das letzte Wochenende. Ich höre dann hier auf", starte ich einen Ablenkungsversuch zur Rettung der Stimmung.
"Och, nee, wie schade. Na dann jetzt aber raus mit der Sprache: Warum magst du keine Verbindungen?"
Es ist halb sechs Uhr morgens und ich bin nicht zwangsweise auf tief schürfende Gespräche aus. Zudem ist die Frage keine ganz einfache, denn ich habe mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, was genau es ist, das mich Verbindungen so abstoßend finden lässt.
"Och Mensch, muss das sein?" Dann zum Glück eine schnelle Erkenntnis. "Ich mag einfach generell kein Geklüngel."
"Was heißt Geklüngel?"
Sie schaltet sich ein: "Du meinst Netzwerke?"
Das Wort scheint mir unpassend, es ist zu abgenutzt und bedeutungslos und schreit geradezu 'Auswendig gelernte Phrase!' Leider fällt mir auf die Schnelle kein passenderes ein.
"Genau. Geschlossene Netzwerke, die sich elitär vorkommen."
Er schweigt. Ist er getroffen? Oder muss er nur umdenken, weil seine üblichen Argumente gegen die Vorwürfe von rechtem Gedankengut und Frauenfeindlichkeit nicht mehr passen? Dafür wird sie umso lebendiger.
"Das heißt also: ins Kloster gehen?"
Ich bin irritiert, frage mich, was das mit dem Thema zu tun hat. Ist aber auch egal, denn dann fällt mir der Fehler auf. "Das wäre ja noch schlimmer."
Sie hat mein Zögern bemerkt. "Ich meine, so im Sinne von Abschottung von der gesamten Welt."
Im Gegensatz zu ihm wirkt sie sehr klar und nüchtern, so dass ich mich fragen muss, ob sie mir gerade drei Gedankenschritte voraus ist – nämlich dass der Beziehungs-Filz überall ist und man nur eine Chance hat, wenn man nach den üblichen Regeln mitspielt und sich ansonsten eben aus allem raushalten muss –, oder ob sie nicht verstanden hat, dass ein Kloster ebenfalls ein geschlossenes Netzwerk darstellt und mir nur einen weiteren Gemeinplatz entgegengeschleudert hat. Ich tendiere zu letzterem.
"Ja, schon klar, aber das ist ja dann quasi noch eine Steigerung der Geschlossenheit und bietet keine Lösung."
Dass die Lösung, die ich mir wünschen würde, Offenheit gegenüber allen Mitmenschen, eine allgemeine, allübergreifende Kommunikation auf gleicher Augenhöhe und daraus abgeleitete Chancengleichheit beinhalten würde, bleibt unausgesprochen, denn wir sind am Zielort angekommen. Während ich den Preis bekannt gebe und er sein Geld hervorkramt, startet er noch einen letzten, plumpen Versuch.
"Also, was machst du jetzt."
Inzwischen bin ich meiner Sache sicher: "Sag ich dir nicht."
"Das würde mich doch aber so sehr interessieren."
Ein hämisches Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. "Ich weiß. Sonst würde es ja auch nur halb so viel Spaß machen."
Das Trinkgeld kann ich mir abschminken.
"Na dann: Ich wünsche euch ein schönes Leben, wir werden uns nie wieder sehen."
"Danke, dir auch", wünscht sie, augenscheinlich aufrichtig, zurück.
Ich brause ab und fühle mich fantastisch.

Am nächsten Morgen komme ich mir unglaublich gemein vor. Die Freude ist schal und ich muss ein gewisses Bedauern unterdrücken, nicht anders gehandelt zu haben.
Aber sie hat es sowieso locker genommen, insofern kann ich mein schlechtes Gewissen ohne größere Probleme regulieren.

Montag, 26. Januar 2009

philosophisches taxi

so würde meine taxigesellschaft heißen. beschäftigt wären nur studenten. und je nach studienrichtung des fahrers gäbe es ein menü, eine hinter der sonnenblende ausklappbare karte mit gesprächsthemen, aus denen der fahrgast (zu einem geringen aufpreis) wählen könnte, um sich die reisezeit zu verkürzen und weiterzubilden.
ideal für prüfungskandidaten.
hat jemand interesse?



p.s.: "intellektuelles taxi" wäre zwar der angestrebten wissensbreite angemessener, klingt aber zu abgehoben. vielleicht "akademisches taxi"?

p.p.s.: gespräche über das wetter - ausgenommen meteorologische theorien - kosten doppelt!

p.p.p.s.: habe ich das grade geklaut? vielleicht von monty python? irgendwo gibt's doch so eine filmszene mit einem restaurant, in dem nur gesprächsthemen auf der karte stehen...

Dienstag, 30. Dezember 2008

die wahl des weges

"Ahja, gut, dann fahr' ich am Besten hier rechts."
"Neinneinnein, was machen Sie denn, links lang."
"Oh, in Ordnung, wie Sie wollen. Und wie dann weiter?"
"Woher soll ich das wissen? Sie sind der Taxifahrer!"

Samstag, 13. Dezember 2008

erziehungsfragen

Eine freundliche Familie. Vater und Mutter in den Dreißigern, mit nahöstlicher Hautfarbe und Nasenform, dazu eine goldige, ca. vierjährige Tochter und ein vielleicht sechsjähriger Sohn.
Irritierend: während der gesamten viertelstündigen Fahrt brabbelt der Knirps vor sich hin: "... Ich will in der Mitte sitzen... Die verdammten Autos sollen schneller fahren... Schau mal, eine verfickte Baustelle. Nur wegen dieser verfickten Straßenbahn... Die verdammte Ampel ist schon wieder rot..."

Wahrscheinlich wäre es besser, sich keine Gedanken darüber zu machen.
Aber man fragt sich doch, was wohl passieren wird, wenn der Kleine seiner Sprache später nicht mehr Herr wird. Und auf Leute trifft, die es gewohnt sind, Worten Gewicht beizumessen.
Oder wenn er tatsächlich mal sein Missfallen ausdrücken möchte und feststellen muss, dass der inflationäre Alltagsgebrauch der geringen Auswahl an deutschen Schimpfwörtern ihn dieser Möglichkeit beraubt hat.

Sonntag, 30. November 2008

clash of cultures

Halb zwölf.
Ein Verbindungshaus.
Es steigen ein: ein fuchsgesichtiger, feister Betrunkener in feinen Klamotten, der mich alkoholkurzsichtig anzuvisieren versucht (vorne), ein blasse weibliche Stimme, die sich später als seine Freundin herausstellt (hinten links), ein undefinierter männlicher Umriss, der sich im späteren Gespräch merklich still verhält (hinten rechts).
Nachdem das Ziel der Reise mir mitgeteilt und die Implikationen von Partymotto und zu erwartenden Gästen untereinander geklärt sind, hat der schwammige Schnösel offensichtlich noch Gesprächsbedarf.
"Was seid ihr denn für eine Firma? Ich hab noch nie was von euch gehört. Privattaxi, hä?"
"Nein, alles ganz legal. Mietwagenfirma."
"Ich hab von einem Freund die Nummer bekommen, nur eine Handynummer, sonst nichts!"
"Was brauchst du denn noch, außer einer Telefonnummer, um ein Taxi zu rufen?"
"Na, ich wusste überhaupt nicht, dass es euch gibt. Keine Werbung, keine Visitenkarten..."
Man bekommt den Eindruck, dass ein Betrieb, den er nicht kennt, automatisch eine dubiose Sache sein muss. Und wer keine Werbung macht, hat erst recht keine Existenzberechtigung. Ich drücke ihm eine Visitenkarte in die Hand, in der Hoffnung, ihm damit etwas Halt zu geben.
"Bitte sehr. Da steht allerdings auch nicht mehr drauf, als die Telefonnummer."
"Na dann brauch ich keine", bemerkt er gedankenstark und macht eine ungelenke Handbewegung, die wohl entweder dazu gedacht war, die Karte aufs Armaturenbrett zu legen, oder dazu, sie mir zuzuwerfen. Die Karte jedenfalls flattert in meinen Fußraum und bleibt unbeachtet und unkommentiert dort liegen. Er mustert mich kurz unter halbgeschlossenen Lidern.
"Was studierst du?"
Zwei Möglichkeiten: entweder ihm erklären, dass ich keine Lust habe, ihm mein Leben zu erörtern – und mir damit Unverständnis und Erklärungsbedarf einhandeln, was notwendig zu weiteren, noch komplizierteren Gesprächen führen muss –, oder für die Dauer der noch verbleibenden fünf Minuten mitspielen. Wider besseres Wissen entscheide ich mich für das vermeintlich Einfachere.
"...Germanistik."
"Also wirst du Lehrer."
"Um Gottes Willen, nein. Magister."
"Und was kann man damit anfangen?"
"Keine Ahnung. Gibt kein festes Berufsbild."
"Aber du studierst das doch."
"Ja, weil es mich interessiert. Alles andere seh' ich dann später."
"Versteh mich nicht falsch, ich find das auch total spannend. Aber was für Perspektiven gibt es denn?"
"Ich studiere Germanistik, weil es mir Spaß macht", wiederhole ich. "Was ich dann damit anfange, weiß ich noch nicht."
Er stiert mich sprachlos an. Der Sarkasmus meiner nächsten Worte perlt ohne jede Wirkung von ihm ab: "Verstehst du nicht, ne?"
"Nee." Pause. "Aber man kann doch nicht davon leben."
Langsam wird’s mir zu blöd. Ich ziehe mich auf die in diesen Fällen übliche Strategie der Einsilbigkeit zurück. "Doch."
"Mit Taxifahren."
"Zum Beispiel."
"Dein Leben lang."
Soll ich ihm erklären, dass ich bei Schlafentzug aggressiv werde und die letzte Nacht durchgearbeitet habe und er deshalb besser aufhört, mich zu nerven... oder soll ich ihm einfach direkt den Ellenbogen ins teigige Gesicht rammen?
"Hatte ich nicht vor."
"Aber was kannst du denn damit machen?"
"Hey", ich schaue ihm das erste Mal direkt und intensiv in die Augen und versuche ihm auf diese Weise klar zu machen, dass ihm hier ein Mensch gegenübersitzt, und dass dieser Mensch genervt ist, "alles was du willst! Alles, was mit Sprache zu tun hat!"
"Ah. Es gibt da auf youtube, kennst du bestimmt, so eine leicht bekleidete Dame namens Orlova [?], die macht auch immer sprachlich sehr dezidiert..."
Ich bin kurz davor, ihn raus zu werfen. Leider sind wir fast am Ziel. Als Strafe für Dummheit, Unsensibilität und Engstirnigkeit käme diese Maßnahme also viel zu spät. So falle ich ihm einfach nur ins Wort. "Ja, genau das werde ich machen. Weil es ja überhaupt keine anderen Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen." In einem letzten verzweifelten Versuch, das Gespräch rumzureißen, ergreife ich viel zu spät die Initiative: "Was machst du denn?"
"Ich bin Anwalt", verkündet er stolz.
"Das hab' ich mir gedacht."
"Warum?"
Ich muss kurz nachdenken, eine halbe Sekunde lang fallen mir nur Beleidigungen ein.
"Zielgerichtete Fragen, zielgerichtetes Leben", bringe ich schließlich heraus. Der negative Unterton ist völlig verschwendet. Vermutlich fasst er diese Bemerkung als Lob auf.
"Aber das sind doch durchaus ungeklärte Fragen", assistiert ihm plötzlich ein langweiliges, dünnes Stimmchen von hinten, in einem Tonfall, der sagt: ‚Du redest komisch zu meinem Schatzi, du böser, böser Taxifahrer!’
"Ja, und die halte ich mir auch gerne offen," beende ich das Gespräch, denn wir sind endlich da.
Er braucht noch eine ganze Weile, um das Kleingeld aus seiner Börse zu sammeln, die ihm dabei herunterfällt. Die Stimme, wie der zweite Mann längst ausgestiegen, eilt geflissentlich herbei und kümmert sich um ihren Liebsten. Seine letzten Worte, während er auf die Haustür zuwankt, sind „Party on!!“

Ich mag die Hoffnung nicht aufgeben, dass das einer seiner schlechteren Momente war.
Aber es gestaltet sich schwierig.

Armes Deutschland. Wenn das deine Rechtshüter sind...

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